Friday, February 11, 2011

„Ich wäre im Urwald zweimal fast gestorben“


Berlin – Mit fünf Jahren zog Sabine Kuegler als Tochter von deutschen Sprachforschern mitten in den Urwald von West-Papua (Indonesien), wuchs dort mit Eingeborenen des Fayu-Stamms auf, lernte jagen, sammeln und Bogenschießen. Mit 17 kehrte sie nach Europa zurück und schrieb mit „Dschungelkind“ einen Bestseller über ihre außergewöhnliche Kindheit. Jetzt kommt die bewegende Geschichte als Film in die Kinos.

Was sie im Urwald erlebte, was sie heute vermisst – BILD.de sprach mit Autorin Sabine Kuegler.

BILD.de: Erinnern Sie sich noch an Ihre Ankunft im Dschungel?
Sabine Kuegler: „Ja, ich bin mit meiner Mutter und meinen Geschwistern im Helikopter dorthin geflogen, anders kommt man nicht hin. Die Fayu hatten große Angst vor dem Hubschrauber, sind in den Urwald geflüchtet. Deshalb stand erstmal nur mein Vater dort, er war schon acht Monate vor uns zu den Fayu gereist.“

Wie war dann die erste Begegnung mit den Fayu?
„Als wir ausgestiegen waren, hat es eine Weile gedauert, dann kamen erstmal nur die Männer aus dem Urwald hervor. Sie müssen sich vorstellen, wir waren blond und blauäugig, noch niemals zuvor hatten die Fayu weiße Kinder gesehen! Sie haben uns umzingelt und angestarrt, ich hatte erstmal ziemliche Angst, weil die Fayu sehr gespenstische Gesichtsausdrücke haben. Dann kam der Häuptling auf mich zu, immer näher kam er. Schließlich hat er seine Stirn an meiner gerieben – das war seine Begrüßung.“

Haben Sie schnell mit anderen Kindern Freundschaften geschlossen?
„Erstmal nicht, die Fayu-Kinder hatten am Anfang große Angst vor uns, waren richtig panisch, weil sie noch niemals weiße Kinder gesehen hatten. Aber dann habe ich mich mit dem Fayu-Jungen Taure angefreundet, ab da ging es ganz schnell. Wir haben den Kindern das Spielen wieder beigebracht, sie hatten das Spielen wegen des Bürgerkriegs verlernt.“

Was war das für ein Krieg, wie viel haben Sie davon mitbekommen?
„Die Fayu-Stämme haben sich untereinander bekämpft, sie haben einen Krieg geführt, der allein auf Rache basierte. Sie glaubten nicht daran, dass ein Mensch auf natürliche Weise sterben konnte, deshalb wurde immer, wenn jemand starb, Rache genommen und jemanden getötet.“

Haben Sie selbst eine solche Blutrache miterlebt?
„Nur einmal haben wir vor unserem Haus einen richtigen Krieg miterlebt wo die Fayu auf einander geschossen haben. Und es kamen häufig Fayu mit Wunden aus dem Dschungel zurück, die wir dann gepflegt haben. Meistens gab es vor unserem Haus nur den Kriegstanz, der stundenlang dauerte. Die Krieger tanzen dann immer wieder aufeinander zu und voneinander weg, fallen in eine regelrechte Trance. Heute haben die Fayu zum Glück ihren Frieden geschlossen, der Bürgerkrieg ist vorüber und die Kultur wächst wieder.“

Es heißt, die Fayu seien Kannibalen – stimmt das?
„Das wird ihnen nachgesagt, aber ich kann das nicht bestätigen. Ich habe jedenfalls selbst nie mitbekommen, dass sie Menschenfleisch gegessen hätten.“

Was haben Sie im Dschungel gelernt?
„Die Fayu haben uns beigebracht, wie man mit Pfeil und Bogen schießt, welche Tiere giftig sind, welche Pflanzen man essen kann, wie man Geräusche identifiziert und bestimmte Instinkte entwickelt. Sie haben uns beigebracht, wie man im Urwald überlebt.“

Ging es Ihnen im Dschungel immer gut?
„Einmal bin ich fast auf eine gefährliche Schlange getreten. Und ich bin mehrmals schwer an Malaria erkrankt, wäre zweimal fast gestorben. Zum Glück gab es Medikamente, aber das war sehr hart. In West-Papua sterben sehr viele Menschen an Malaria oder an Infektionen, der Tod gehört dort zum Alltag“.

Wann haben Sie dann entschieden, den Urwald zu verlassen? Wie war es, wieder in die „Zivilisation“ zurückzukehren?
„Das war als ich 17 war, und es gab zwei Gründe: Zum einen wäre mein Visum an meinem 18. Geburtstag abgelaufen, ich hätte also ohnehin zurück gemusst. Zum Zweiten war ich ein Teenager, befand ich in einem Konflikt. Ich war weiß und fühlte, dass ich irgendwie nicht so richtig dazugehörte, und ich wollte sehen, was sonst noch möglich ist. Ich bin dann in die Schweiz auf ein Mädcheninternat gekommen. Ich musste alles neu lernen. Dann, mit 18, wurde ich schwanger. Die Zeit danach war sehr schwierig.

Was empfinden Sie heute als Ihre Heimat – Deutschland oder Indonesien?
„Wenn ich es mir aussuchen müsste, würde ich lieber in Neuguinea leben. Ich empfinde durch meine „Dschungelaugen“ den Urwald als sehr bunt, mein Leben hier ist sehr grau. Trotzdem liebe ich Deutschland sehr, ich bin echte Patriotin. Es gibt vieles an Deutschland, was ich im Urwald sehr vermissen würde – zum Beispiel Currywurst und Fußball. In Deutschland vermisse ich dafür die Verbundenheit mit der Natur, die ich in keinem normalen deutschen Wald empfinde.“

Jetzt erscheint der Film zu ihrem ersten Buch „Dschungelkind“ in den Kinos. Wurde der Film am selben Ort ihrer Kindheit gedreht?
„Nein, das war nicht möglich. Das Fayu-Gebiet liegt viel zu tief im Dschungel, da wäre das Filmteam mit all dem Equipment nicht hingekommen. Außerdem wäre es wegen der Malaria viel zu gefährlich. Der Film wurde deshalb in Malaysia gedreht – mit Fayu-Leuten aus Papua-Neuguinea.“

Wie war es für Sie, den fertigen Film zu sehen, was bedeutet er Ihnen?
„Der Film hat mich sehr bewegt, es ist ein sehr emotionaler Film. Nur auf dem roten Teppich bei der Premiere habe ich mich nicht so wohl gefühlt, das ist nicht so mein Ding. Da bin ich lieber im Urwald.“

„Dschungelkind“ mit Nadja Uhl, Thomas Kretschmann und Sina Tkotsch in den Hauptrollen läuft am 17. Februar in den deutschen Kinos an.


Source; http://www.bild.de/BILD/news/2011/02/10/film-dschungelkind-interview/autorin-sabine-kuegler-im-urwald-fast-gestorben.html